IMHA (Immun-mediierte hämolytische Anämie) beim Hund
LINA, Mischling, weiblich-kastriert, 8 Jahre alt
Lina geht es nicht gut. Sie zeigt nur noch wenig Appetit, wirkt müde, trinkt eher viel und die Besitzerin hat beobachtet, dass sie phasenweise stosshaft atmet. Sie befürchtet, dass Lina Schmerzen haben könnte.
In der Praxis scheint der Hund recht munter und frisst die angebotenen Leckerli problemlos. Ausser einer leicht erhöhten Körpertemperatur und fraglichen Schmerzen bei intensivem Abtasten der Lendenwirbelsäule ist der körperliche Untersuch unauffällig.
Abklärung und Diagnosestellung
Wir machen uns auf die Suche und entnehmen Lina Blut. Der Gallenfarbstoff (TBIL = Bilirubin) und die Entzündungseiweisse (GLOB = Globuline) sind etwas erhöht. In der Hämatologie (Beurteilung der Blutzellen) werden wir dann definitiv fündig: Die Zahl der Erythrozyten (Rote Blutkörperchen) ist erniedrigt (Hct = Hämatokrit, RBC = Anzahl rote Blutkörperchen), gleichzeitig ist die Zahl der unreifen jungen roten Blutkörperchen (RET = Retikulozyten) stark erhöht. Lina leidet an einer Blutarmut, was ihre Symptome durchaus erklären kann.

Nun muss eruiert werden, was der Grund für die Blutarmut ist. Als erstes wird bestimmt, ob es sich um eine sogenannte nichtregenerative (Blutarmut aufgrund fehlender Neubildung von Blutkörperchen) oder eine regenerative Anämie handelt (der Körper versucht, verlorengegangene Blutkörperchen zu ersetzen, was aber ungenügend gelingt). Aufgrund der Blutwerte ist klar, dass eine regenerative Anämie vorliegt - der Körper produziert fortwährend grosse Mengen an neuen Erythrozyten. Für dieses Problem gibt es 2 Erklärungen: Entweder blutet Lina irgendwo, oder der Körper zerstört die Erythrozyten aus irgendeinem Grund.
Mittels Ultraschall wird die Bauchhöhle untersucht - glücklicherweise kann hier die Möglichkeit eines blutenden Tumors ausgeschlossen werden, und auch ein Bruströntgen ist unauffällig. Da auch im Kot und Urin kein Blut zu finden ist, muss es sich bei Lina um eine sogenannt hämolytische Anämie handeln - der Körper zerstört die Blutkörperchen selbst.
Wir schicken Blut zur weiteren Untersuchung in ein externes Labor, um nach Erregern zu suchen, welche eine solche Hämolyse verursachen können.
Therapie
Da diese Laboruntersuchungen mehrere Tage dauern und wir keine Zeit verlieren wollen, beginnen wir eine prophylaktische Therapie gegen einen Teil der möglichen Erreger und verabreichen Lina hohe Dosen an Cortison. Dieses Medikament blockiert das Immunsystem und verhindert so hoffentlich, dass der Körper die Erythrozyten zerstört. Einige Tage später meldet das Labor, dass keine Erreger gefunden wurden, und wir stoppen das prophylaktisch verabreichte Medikament, verlängern aber die Therapie mit Cortison

Weiterer Verlauf
Nachdem die Erythrozyten 2 Tage nach Beginn der Cortisontherapie sogar noch tiefer lagen als zum Diagnosezeitpunkt, verbessern sich die Werte anschliessend sukzessive. 2 Wochen nach Diagnosestellung sind die roten Blutkörperchen wieder im Normalbereich, und auch die Retikulozytenzahl hat sich vermindert - die Therapie greift, und der Körper zerstört die Blutzellen nicht mehr, weshalb auch nicht mehr übermässig viele neugebildet werden müssen. Lina verträgt die massiven Cortisondosen sehr gut, zeigt bald wieder einen sehr guten Appetit und ist wieder vital und aufgestellt.
In der Folge wird die Cortisondosis schrittweise und vorsichtig unter regelmässiger Kontrolle der Blutwerte reduziert - wir hoffen, dass wir das Medikament ganz ausschleichen können, ohne dass das Immunsystem wieder unkontrolliert aktiv wird.

Wissenschaftliches
Die Symptome einer Blutarmut (Anämie) sind diffus - ein reduzierter Appetit und Allgemeinbefinden, ein Mangel an Ausdauer oder eine verstärkte Atmung können durch den Mangel an roten Blutkörperchen auftreten. Essentiell ist die Unterscheidung zwischen einer nicht-regnerativen (es werden weniger neue Erythrozyten gebildet, weshalb deren Zahl abnimmt) und einer regenerativen Anämie (es werden fortwährend neue Erythrozyten gebildet, weil Blutkörperchen aktiv verlorengehen). Eine nichtregenerative Anämie kommt durch diverse, meist schwere Erkrankungen zustande, welche die Blutbildung beeinträchtigen. Beispiele sind Krebserkrankungen, schwere Nierenerkrankungen oder Störungen des Knochenmarkes. Eine regenerative Anämie entsteht entweder durch einen Blutverlust oder Zerstörung der roten Blutkörperchen durch das Immunsystem.
Bei Immunhämolytischen Anämien lässt sich häufig kein auslösender Erreger für die Blutkörperchenzerstörung finden, entsprechend spricht man auch von "Autoimmun-hämolytischer Anämie (AIMHA)". Das Immunsystem zerstört hierbei aus unbekannten Gründen die gesunden roten Blutkörperchen, weshalb der Körper gezwungen ist, diese zu ersetzen und deshalb grosse Mengen an jungen Blutkörperchen (Retikulozyten) bildet. Der Abbau des aus den zerstörten Erythrozyten freigesetzten Blutfarbstoffs (Hämoglobin) geschieht in der Leber, weshalb das entstehende Abfallprodukt (Bilirubin) wie bei Lina im Blut ansteigen kann.
Therapeutisch wird in einem solchen Fall das Immunsystem mit Medikamenten lahmgelegt. Lässt sich dies nicht durch Cortison in hohen Dosen bewerkstelligen, können auch Medikamente aus der Krebstherapie (Chemotherapeutika) eingesetzt werden.
Falls das Immunsystem erfolgreich lahmgelegt werden kann und sich die Werte im Normalbereich stabilisieren, wird das eingesetzte Medikament vorsichtig und langsam wieder ausgeschlichen. Im bestmöglichen Fall überwindet der Körper die Krise; leider sind allerdings auch Rezidive möglich, bei denen das Immunsystem wieder damit beginnt, die Erythrozyten zu bekämpfen.
© Dr. med. vet. P. Müller / Lyssbachvet


