Flash wird uns vorgestellt, weil er seit längerer Zeit das linke Auge zusammenkneift. Das Auge tränt auch vermehrt; ansonsten geht es dem Kater gut.
Die Untersuchung zeigt, dass die Hornhaut des linken Auges einen tiefen Krater aufweist - ein Hornhautgeschwür (Ulcus) hat sich gebildet. Das Auge ist durch den Hornhautdefekt stark entzündet und ist schmerzhaft. Glücklicherweise ist der Defekt aber nicht ganz so tief, dass ein Auslaufen von Kammerwasser befürchtet werden muss.
Nachdem das Auge gereinigt wurde, wird unter Narkose zum Schutz der Hornhaut eine sogenannte Nickhautschürze angelegt. Hierbei wird das 3. Augenlid wie ein Schutzschild über die Hornhaut gezogen und am Oberlid angenäht.
Nach einigen Tagen, während denen das Auge mit verschiedenen Tropfen und Salben behandelt und ein systemisches Antibiotikum verabreicht wird, wird die Nickhautschürze entfernt. Der Defekt hat sich in der Zwischenzeit nicht substantiell verändert, weshalb die Behandlung ohne Nickhautschürze weitergeführt wird. Die Katze erhält einen Halskragen, damit sie nicht am Auge kratzt und wird für längere Zeit hospitalisiert, da den Besitzern eine mehrmals tägliche Behandlung nicht möglich ist.
3 Wochen später ist die Heilung des grossen Geschwürs durch die 5x tägliche Behandlung schon beinahe abgeschlossen - der Defekt ist aufgefüllt, und es ist nur noch eine Narbe und einige verbleibende kleine Blutgefässe auf der Hornhaut sichtbar. Flash wird nach Hause entlassen; es ist zu erwarten, dass in den kommenden Wochen alle der zur Heilung benötigten und auf die Hornhaut gewachsenen Blutgefässe wieder verschwinden werden - schlussendlich wird wohl nur noch eine feine weissliche Hornhautnarbe an die schwere Verletzung des Auges erinnern.
Da die Hornhaut des Auges zur Erfüllung ihrer Funktion durchsichtig sein muss, wird sie nicht wie die meisten anderen Gewebe des Körpers durch Blutgefässe mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt sondern bezieht diese Elemente aus dem Tränenfilm und dem Kammerwasser. Wird die Hornhaut nachhaltig beschädigt, müssen von der weissen Lederhaut des Auges aus kleine Blutgefässe auf die Hornhaut wachsen, um den Bedarf an Zellen und Nährstoffen zur Reparatur des Defektes zu decken. Obwohl die Hornhaut den Eindruck eines sehr fragilen Gewebes macht, ist ihr Potential zur Heilung erstaunlich.
Bei sehr tiefen Defekten kann durch eine Nickhautschürze, bei der das 3. Augenlid als "Schutzvorhang" temporär über die Hornhaut gezogen und am Oberlid festgenäht wird, die Hornhaut geschützt und deren Heilung begünstigt werden. Ist der Defekt zu tief oder schreitet die Heilung ungenügend voran, kann durch die Anbringung eines sogenannten Corneaflaps, einer Transplantierung von Gewebe aus der Lederhaut auf die Hornhaut, der Defekt gefüllt werden.
© Dr. med. vet. P. Müller / Lyssbachvet