EMILY, Hauskatze, weiblich-kastriert, 18 Jahre alt

Seit zwei Tagen mag Emily nicht mehr fressen. Sie geht zwar zum Futternapf, wendet sich aber gleich wieder ab. Zuvor war die Freigänger-Katze trotz ihres hohen Alters munter und aktiv gewesen und hatte einen guten Appetit gezeigt.

Untersuch, Diagnose und erster Therapieansatz

Beim Untersuch wird ersichtlich, dass die Katze offensichtlich Schmerzen im Maul hat, vermehrt speichelt und starken Maulgeruch hat. Das Maul lässt sich wach kaum öffnen, weshalb die Katze ein Narkosemittel erhält. Nun ist das ganze Ausmass des Problems erkennbar: Die Katze hat sich an der rechten Seite der Zunge eine Wunde von wohl 2 cm Länge zugezogen - obwohl schwer nachvollziehbar ist, wie eine solche Verletzung entstehen kann, ist diese doch eindeutig die Ursache für das Verhalten der Katze. Es wird versucht, die Zunge zu nähen (allerdings lösen sich die Fäden innert wenigen Tagen wie befürchtet wieder), Emily wird hospitalisiert, erhält Schmerzmittel und intravenöse Infusionen und wird mit flüssigem Futter versorgt.

Intensivierung der Therapie: Ösophagussonde

Trotz intensiver Schmerztherapie frisst Emily weiterhin nicht, auch wenn die Fütterung von Hand und etwas forciert erfolgt. Um auszuschliessen, dass ausser der Zungenverletzung noch eine andere Problematik vorhanden wäre, wird ein Bruströntgen angefertigt und Blut untersucht - beide Untersuchungen sind aber unauffällig. Ganz offensichtlich hindert allein der Schmerz der verletzten Zunge die Katze am Fressen. Obwohl Emily schon eine ältere Dame ist, entscheidet sich die Besitzerin für eine Intensivierung der Therapie: Unter einer kurzen Narkose wird eine Ernährungssonde in einem kurzen chirurgischen Eingriff in die Speiseröhre eingesetzt, über welche die Katze nun problemlos mit Nährstoffen, Medikamenten und Flüssigkeit versorgt werden kann. Der korrekte Sitz der Ösophagussonde wird mittels Röntgen kontrolliert und der Schlauch in einen Halsverband eingepackt. Der tägliche Kalorienbedarf der Katze wird berechnet, und die Besitzerin wird in der Verabreichung der Flüssignahrung über die Sonde geschult. Anschliessend wird die Katze mit Schmerzmitteln und Antibiotika nach Hause entlassen.

JIMI, Hauskatze, männlich-kastriert, 7 Jahre alt
Radiologische Kontrolle der Sonde

Weiterer Verlauf

In den nächsten knapp drei Wochen geht es der Katze langsam sichtlich besser. Der Besitzerin gelingt es mit viel Geduld gut, der Katze genügend Kalorien und Flüssigkeit zuzuführen, so dass Körpergewicht und Wasserhaushalt stabil bleiben. Zunehmend beginnt Emily auch wieder selbst zu fressen, so dass die Sonde (obwohl die Zungenverletzung noch nicht komplett abgeheilt ist) wieder entfernt werden kann.

Wissenschaftliches

Futterverweigerung ist bei der Katze bei diversen Krankheitsbildern ein gefürchtetes Problem. Die Ursachen dafür sind sehr divers - von Fieber, Infektionen und Krebserkrankungen über schwere Traumata wie Autounfällen, Schmerzen oder Verängstigung kommen viele Ursachen für die fehlende Fresslust in Frage. Neben dem körperlichen Zerfall durch Kalorienmangel und Austrockung ist bei der Katze auch die hepatische Lipidose eine gefürchtete Folgeerscheinung bei zu langer Futterverweigerung: Der Körper mobilisiert während des Hungerns Fett, welches den Leberstoffwechsel überlasten kann und zu einer eigentlichen Leberverfettung führt, was eine zusätzliche schweren Komplikation bedeutet und zu einer Gelbsucht führt.

Die sogenannte Ösophagussonde (Ösophagus = Speiseröhre) ist eine elegante und wenig aufwendige Methode, Katzen bei Nahrungsverweigerung mit Nährstoffen und Flüssigkeit zu versorgen. In einer kurzen Narkose wird mit Hilfe eines speziellen Applikators durch einen kleinen Schnitt in der linken Halsseite ein dünner Schlauch in die Speiseröhre eingeführt. Die Sondenspitze sollte nicht bis in den Magen reichen, da sonst Magensäure durch den ständig offenstehenden Schliessmuskel in die Speiseröhre gelangen würde. Dieser Sondentyp ist der v.A. früher verwendeten Nasen-Schlundsonde (bei der ein noch dünnerer Schlauch über die Nase in die Speiseröhre geführt wird) weit überlegen: Der Durchmesser des Schlauches ist viel grösser, was die Fütterung erleichtert und eine Pflege durch die Besitzer zu Hause ermöglicht; ausserdem ist der Tragekomfort für die Katze viel grösser, da bei einer Nasen-Schlundsonde ein Halskragen getragen werden muss und ein Fremkörpergefühl in der Nasenhöhle besteht.

Interessanterweise ist die Entfernung der Sonde sehr problemlos und schmerzfrei und kann somit ohne Narkose bewerkstelligt werden - die kleine Wunde in der Speiseröhre und der Haut heilt innert Tagen ab.

© Dr. med. vet. P. Müller / Lyssbachvet

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