ANONYM, Dalmatiner, weiblich, laut Impfpass 7 Monate alt

Die junge Dalmatinerhündin wird uns erstmals nach dem kürzlichen Import aus der Türkei vorgestellt, auch die Besitzer sind erstmals bei uns. Wie üblich wird das junge Tier untersucht und die mitgebrachten Importpapiere und der Heimtierpass kontrolliert - als Tierärzte sind wir verpflichtet, die Einhaltung der Einreisebestimmungen zu überprüfen. Auf den ersten Blick scheint alles in Ordnung, die Hündin ist gesund und die mitgeführten Papiere bestätigen einen korrekten Import und eine gültige Tollwutimpfung.

Reisepass: Personalien des Hundes

Relevante Dokumente

Auffallend ist aber, dass der Welpe noch mehrere Milchzähne aufweist - normalerweise ist der Zahnwechsel beim Hund aber mit ca. 6 Monaten Alter abgeschlossen. Laut Reisepass wurde das Tier am 20.3.2023 gegen Tollwut geimpft, und wie vorgeschrieben wurde anschliessend ein Bluttest durchgeführt, um den Impfschutz anhand der vorhandenen Abwehrstoffe gegen das Tollwutvirus zu bestätigen (sogenannter Impftiter). Auffallend ist aber, dass auf dem Labordokument zwar das Datum der Tollwutimpfung mit dem Heimtierpass übereinstimmt (roter Pfeil), das Datum der Blutentnahme aber vor (und nicht mindestens 30 Tage nach) der Tollwutimpfung liegt (blauer Pfeil). Der resultierende Tollwuttiter ist auch sehr hoch, was unüblich ist (grüner Kreis). Zusammen mit dem Umstand, dass der Hund ganz offensichtlich jünger ist als im Reisepass angegeben, besteht die Befürchtung, dass hier etwas nicht stimmt.

Tollwutimpfung im Heimtierpass
Tollwuttiter-Dokument Türkei

Nachforschungen und Blutuntersuchung

Die Türkei ist ein Land, in welchem (im Gegensatz zur Schweiz) Tollwut vorkommt. Aufgrund des Risikos, dass man sich als Mensch mit dieser tödlich verlaufenden Krankheit anstecken könnte, sind die Einreisebestimmungen für Hunde aus solchen Ländern strikt. Wir informieren entsprechend das kantonale Veterinäramt über die Situation. Das Amt stellt in der Türkei Nachforschungen an und kann eruieren, dass der offiziell aussehende Laborbericht des türkischen Referenzlabors gefälscht ist - der Bluttest wurde dort nie durchgeführt. Das Amt ordnet an, dem Hund erneut Blut für einen Tollwuttiter zu entnehmen um zu eruieren, ob überhaupt eine Tollwutimpfung durchgeführt wurde. Der Titer ist, ganz im Gegensatz zur "türkischen Version", negativ - der Hund weist keine Antikörper gegen das Tollwutvirus auf. Offensichtlich ist auch der Impfpass gefälscht, und der Welpe hat gar nie eine Tollwutimpfung erhalten.

Tollwuttiter in der Schweiz

Weiterer Verlauf

Der Besitzer des Hundes erhält nun eine Verfügung des kantonalen Veterinäramtes. Zum grossen Glück hat der Welpe bisher weder ein Praxismitglied, noch ein Familienmitglied gebissen; wäre dies der Fall gewesen, wäre die Hündin auf jeden Fall euthanasiert und auf Tollwut untersucht worden. So aber besteht die Alternative, den Hund innert 10 Tagen wieder in die Türkei zu verbringen, was der Besitzer auch in die Wege leitet. Das Veterinäramt wird den Vollzug der Anordnung kontrollieren.

Juristisches zum Fall

Aufgrund der Tollwutproblematik ist das internationale Reisen mit Hunden, Katzen und Frettchen gesetzlich geregelt. Zum Reisen innerhalb der EU und der Einreise in die EU aus der Schweiz reicht eine gültige Tollwutimpfung, eine Eintragung der Impfung im Heimtierpass sowie die Kennzeichnung des Tiers mittels Mikrochip. Die Tollwutimpfung darf frühestens im Alter von 12 Wochen vorgenommen werden, 3 Wochen später darf das Tier dann reisen. Die Einreise in die Schweiz aus der EU ist gegenwärtig unter gewissen Bedingungen auch ohne Tollwutimpfung möglich, wenn der Welpe jünger als 12 Wochen ist.

Erfolgt die Einreise aus einem Land, in welchem Tollwut vorkommt, ist das Prozedere komplizierter: Der Hund benötigt einen Heimtierpass, einen Mikrochip sowie eine Tollwutimpfung (frühestens im Alter von 12 Wochen). Anschliessend muss frühestens 30 Tage nach Impfung ein Bluttest zur Bestimmung des Tollwuttiters (Menge der Abwehrstoffe gegen Tollwut im Blut) vorgenommen werden, die Probe muss in einem international anerkannten Referenzlabor analysiert werden. Ist der Titer genügend hoch, schliesst sich eine Warteperiode von 3 Monaten an, anschliessend darf der Hund nach Beantragung einer Einreisebewilligung des Bundesamtes für Veterinärwesen und Einholen einer Veterinärbescheinigung im Herkunftsland in die Schweiz einreisen. Eine Onlinehilfe beim Reisen mit Tieren ist auf der Website des BLV zu finden.

Im vorliegenden Fall handelt es sich ganz offensichtlich um eine Dokumentenfälschung von Seiten des "Züchters" und des Tierarztes in der Türkei, welche zu einem illegalen Import des Hundes geführt hat. Der Besitzer muss eine entsprechende Strafe erwarten, auch wenn ihm wahrscheinlich der wahre Sachverhalt nicht bewusst war.

Länderliste Tollwut 2
Länderliste Tollwut

Medizinisches zum Fall

Tollwut ist bei Mensch und Tier eine zu praktisch 100% tödlich verlaufende Krankheit, wenn nicht rechtzeitig Massnahmen ergriffen werden. Wird eine Person von einem tollwütigen Tier gebissen, kann eine raschestmögliche Impfung sowie die Verabreichung von Immunserum das Todesrisiko stark reduzieren. Die WHO schätzt, dass jährlich weltweit trotzdem ca. 59'000 Menschen an der Krankheit sterben; Überträger sind in 99% der Fälle infizierte Hunde. In der Türkei sterben jährlich durchschnittlich24 Menschen an Tollwut, weniger als die Hälfte aller türkischen Hunde sind geimpft. Die Gefährlichkeit der Tollwut ist leider viel zu wenigen Menschen bekannt und führt dazu, dass mit Risikosituationen fahrlässig verfahren wird und entsprechenden Gesetzgebungen ignoriert werden. 2021 trat in Deutschland ein Tollwutfall bei einem illegal aus der Türkei importierten Kangal auf. Gegen 30 Personen im Umfeld einer Tierarztpraxis mussten einer Postexpositionsprophylaxe (aktive und passive Impfung) unterzogen werden.

Leider lässt sich am lebenden Hund nicht feststellen, ob er mit Tollwut infiziert ist oder nicht, und unglücklicherweise kann Tollwut durch einen Biss auch schon übertragen werden, wenn der Hund noch keine Symptome der Krankheit aufweist. Entsprechend wird von den Behörden in problematischen Situationen häufig die Euthanasie des Tieres und Untersuchung des Hirns angeordnet um festzustellen, ob für Menschen ein Erkrankungsrisiko besteht.

Eine interessante Dokumentation des Problems finden Sie hier.

© Dr. med. vet. P. Müller / Lyssbachvet

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